Podiumsdiskussion „Geschichtsbewusstsein in der Juristenausbildung“
Soll im Jurastudium Geschichtsbewusstsein gestärkt werden?
Während der Podiumsdiskussion in der Erlanger Orangerie am 7. Mai 2018 wurde die stärkere Einbindung des Justizunrechts im 20. Jahrhundert in Deutschland in die juristische Ausbildung erörtert.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat 2017 eine Änderung des § 5a DRiG vorgelegt, wonach künftig die Unrechtsregime in Deutschland im 20. Jahrhundert in Ausbildung und Prüfung der angehenden Juristinnen und Juristen berücksichtigt werden sollen. Der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung greift diesen Vorschlag zustimmend auf. Expertinnen und Experten aus Politik, Justiz, Wissenschaft und Presse folgten der Einladung zu der Podiumsdiskussion, die von Professor Christoph Safferling moderiert wurde. Die Studierendenschaft war zahlreich im Publikum aber auch durch einen der gewählten Fachschaftsvertreter auf dem Podium prominent vertreten.
Wann kippt Recht in Unrecht? Werden Jurastudierende ausreichend dazu befähigt, diese Frage zu beantworten und im entscheidenden Moment – wie Fritz Bauer forderte – „Nein“ zu sagen oder findet momentan primär eine Ausbildung von „Rechtstechnikern“ statt?
Welche Rolle kann die individuelle Schwerpunktsetzung während des Studiums und im Rahmen von Fortbildungen (vgl. Art. 6 Bayerisches Richtergesetz) spielen? Braucht es neue Lehrkonzepte nach dem Vorbild anderer Studiengänge, z.B. die Einführung einer Pflichtvorlesung „Berufsethik für Juristen“, oder ist das Curriculum in Bezug auf die Stofffülle der Ausbildung bereits an seine Grenzen gelangt? Droht nicht ohnehin die Provokation einer ablehnenden Haltung unter den Studierenden durch Einführung einer zusätzlichen Verpflichtung?
Todesurteile während der NS-Zeit vermitteln auf schockierende Weise, wie die juristische Fachsprache, mit der sich Jurastudierende bereits ab dem ersten Semester zu identifizieren beginnen, pervertiert werden kann. Ergebnisse aus dem Rosenburg-Projekt legen nahe, dass Juristen mit erheblicher Vorbelastung in Verantwortungspositionen die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts blockiert haben. Zuletzt wurde das Festhalten an „Markennamen“ trotz geschichtlichen Makels in der juristischen Fachliteratur kritisiert (zB „Palandt“).
Auch wenn diese Beispiele eindrücklich und relevant sind, solle die Debatte keinesfalls durch zu enge Formulierungen auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränkt werden. Das SED-Unrecht darf bei der Diskussion keinesfalls vergessen werden. Der Begriff des „Geschichtsbewusstseins“ sei komplex und bedarf daher umsichtiger Definition und Ausfüllung. Darin waren sich die Podiumsteilnehmer/innen einig.
Die kontroverse Debatte über das Für und Wider des Vorschlags wurde von Beiträgen und Fragen des im Wassersaal der Orangerie in Erlangen anwesenden Publikums bereichert. Doch nicht nur vor Ort konnten sich die Studierenden und weitere Interessenten aktiv beteiligen.
Bereits einige Tage vor der Veranstaltung ging auf unserem ICLU Facebook-Auftritt eine Abstimmung über den Vorschlag online. Dabei sprachen sich knapp über 30 Prozent für eine Prüfung rechtshistorischer Inhalte im Ersten Juristischen Staatsexamen aus, während etwa 60 Prozent der Idee ablehnend gegenüberstanden. Die restlichen Teilnehmenden waren unentschlossen und wollten zur Meinungsbildung die Podiumsdiskussion abwarten. Die Umfrage wurde live während der Podiumsdiskussion fortgesetzt. Die Anwesenden waren dazu aufgerufen, mit ihren Smartphones vor und nach der Veranstaltung ihre Meinung einzubringen. Wo sich zu Beginn noch eine mehrheitlich ablehnende Tendenz, ähnlich des Ergebnisses auf Facebook, abzeichnete, war zum Ende hin festzustellen, dass das Thema einigen der Anwesenden nun in einem anderen Licht erscheint und wohl noch einmal gründlich überdacht werden wird.
Unser Dank gilt den Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmern: Abteilungsleiterin Frau MinDir’in Marie Luise Graf-Schlicker aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, der Leiterin des bayerischen Landesjustizprüfungsamtes Frau MinDirig’in Dr. Andrea Schmidt, der Präsidentin des OLG Düsseldorf a.D. Anne-José Paulsen, Dr. Ronen Steinke von der Süddeutschen Zeitung, dem Studierendenvertreter Herrn Dominik Luck, Herrn Professor Arnd Koch von der Universität Augsburg sowie Herrn Professor Andreas Funke von der FAU.